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Familienverfassung – der Weg ist das Ziel

Haben Sie schon einmal etwas von dem Begriff Familienkodex oder auch Familiencharta, Familienstatuten oder Familienverfassung genannt, gehört? Eine solche zu erstellen, wird derzeit immer beliebter. Und vieles spricht auch dafür. Aber nicht alles.



In Anlehnung an die Corporate Social Responsibility in großen Unternehmen, geht es bei der Familienverfassung darum, sich freiwillig Verhaltensregeln aufzuerlegen, die die Beziehungen der Familie zum Familienunternehmen regeln soll. Freiwillig deshalb, weil eine Familienverfassung rechtlich nicht bindend ist, sondern einen moralischen Kompass darstellt.

Das Familienunternehmen und die Unternehmerfamilie sind nämlich nicht zur trennen. Und dass in Unternehmerfamilien, wie in jeder anderen Familie nicht immer rational vorgegangen wird, davon können viele ein Lied singen. Wenn es um Liebe, Eifersucht, Macht und Geld geht, kommt man mit rationalen Argumenten meist nicht mehr weiter. Um dann die Zukunft des Betriebes nicht zu gefährden, sollen im Rahmen einer solchen Familienverfassung gemeinsame Verhaltensregeln erarbeitet werden.


Die darin festgehaltenen Regeln, sollen von der gesamten Unternehmerfamilie

mitgetragen werden. Die Familienverfassung legt neben wichtigen allgemeinen Werten das

grundlegende Verhältnis des Unternehmens zur Familie und vice versa fest. Dazu

zählen insbesondere das Verhältnis von Unternehmen und Anteilseignern sowie deren

Ansprüche und Einflussmöglichkeiten auf das operative Geschäft. Aber auch

Richtlinien, wie bei Anteilsveräußerungen vorgegangen wird. Auf jeden Fall kann die Familiencharta Transparenz schaffen und helfen, Streitigkeiten zu vermeiden. Deshalb wäre der Idealzustand auch, eine Familienverfassung in sogenannten Friedenszeiten zu erarbeiten, denn je größer die Anzahl der Familienmitglieder und potenziellen Gesellschaftern wird, je zahlreicher sind auch die verschiedenen Interessen und Begehrlichkeiten im Hinblick auf die Familie, das Unternehmen und das Vermögen. Das schafft natürlich Raum für Konflikte.


Wer gehört denn eigentlich zur Familie?

Zwei Punkte, die in keiner Familienverfassung fehlen dürfen, betreffen die Definition des Familienbegriffs und die Nachfolgeregelungen.


· Die Festlegung der Kernfamilie: Wenn geregelt ist, wer Gesellschafter sein kann und wer nicht, bleibt auch kein Raum für spätere Diskussionen über die Eigentümerschaft. Dabei ist klar zwischen der Kernfamilie, der Unternehmerfamilie und der Frage, wer Gesellschafter ist bzw. werden kann zu unterscheiden. Die Kernfamilie beinhaltet dabei die jeweiligen Lebenspartner und ihre gemeinsamen Kinder. Zur Unternehmerfamilie, man könnte auch sie auch als „Clan“ bezeichnen, zählen darüber hinaus auch andere Familienmitglieder, die sich zu dem Familienunternehmen und den dieses prägenden Werten bekennen. In der Regel unterzeichnen diese Familienmitglieder auch die Familienverfassung mit. Unternehmerfamilien mit mehreren Familienstämmen haben folglich auch mehrere Kernfamilien.

Mögliche Fragestellungen könnten sein: Wer gehört zur Kernfamilie und wer zur Unternehmerfamilie? Wie gehen wir mit der wachsenden Zahl an Eigentümern um? Wie viele Gesellschafter verträgt unser Betrieb? Wer soll und kann welche Rolle im Unternehmen übernehmen? Wie gehen wir mit angeheirateten Ehepartnern und der nächsten Generation im Hinblick auf Jobs im Unternehmen um? Wie sichern wir den familiären Zusammenhalt? Welches gemeinsame Interesse verbindet uns als Unternehmerfamilie? Brauchen wir einen Beirat bzw. ab wann benötigen wir einen Beirat?


· Die Nachfolgeregelung: Im Hinblick auf die Unternehmensnachfolge ist es sinnvoll, in der Familienverfassung eine Nachfolgestrategie zu etablieren. Dazu sollten vor allem Überlegungen zur Ausbildung und Vorbereitung potenzieller Nachfolger angestellt werden. In der Familienverfassung können dann fachliche und persönliche Qualitätsanforderungen für Geschäftsführer wie Studienabschluss, Alter und Berufserfahrung festgelegt werden.

Mögliche Fragestellungen könnten sein: Wer soll die Firma zukünftig leiten? Was machen wir, wenn kein qualifizierter Nachfolger aus der Familie zur Verfügung steht? Was machen wir, wenn es zu viele Anwärter gibt? Welche Regeln benötigen wir zur Vergütung der Geschäftsführer? Was ist eine faire Bezahlung für einen familieninternen Geschäftsführer? Welche Qualifikationen sind unumgänglich? Wie gehen wir mit Liquidität im Unternehmen um? Welche Regeln benötigen wir zur Gewinnausschüttung? Wer kann Anteile erben? Wer nicht?


Sind diese und Fragen um andere Themenblöcke einmal geklärt, gibt es für zukünftige Generationen genaue Verhaltensregeln und viele Fragen erledigen sich dann oft von selbst.


Der Weg ist das Ziel

Das Procedere, diesen umfassenden Fragenkatalog zu erarbeiten, klingt nur am ersten Blick recht einfach. Denn alleine die Fragen bergen schon einen gewissen Sprengstoff in sich. Aber, der Weg ist das Ziel! Auch dass man sich gemeinsam an einen Tisch setzt und (vielleicht das erste Mal gemeinsam) Grundsatzthemen bespricht, ist Teil der Strategie. Laut dem deutschen Family Business Consulter Peter May stärkt bereits der Prozess der gemeinsamen Erarbeitung den Zusammenhalt der Familie, fördert die Identifikation mit dem Betrieb und dient damit der Konfliktprävention und dem Erhalt des Familienfriedens. Die konfliktvorbeugende Komponente spielt damit eine zentrale Rolle in einer Familienverfassung und das Familienunternehmen profitiert folglich von der gestärkten Familie.


Idealerweise sitzen alle Anteilseigner an einem Tisch und besprechen die drängenden Themen in einem moderierten Prozess. Bei größeren Familienunternehmen mit vielen Mitgliedern und Eigentümern, können entweder Familienmitglieder nominiert werden – beispielsweise je einer aus einem Stamm – oder unterschiedliche Familienmitglieder verschiedene Themenblöcke erarbeiten. Damit der Prozess nicht aus dem Ruder läuft und Emotionen im Zaum gehalten werden, wird er professionell begleitet. Um zu einem Ergebnis zu kommen, das dann auch von allen mitgetragen wird, sollte man nicht die Geduld verlieren. Wie gesagt, der Weg ist das Ziel und bis man eine Familienverfassung fertig hat, können viele Monate vergehen.


Sinn macht eine Familienverfassung sowohl bei großen Familien(unternehmen) mit unübersichtlich vielen Mitgliedern, wie es die Swarovskis oder das Haus Liechtenstein beispielsweise haben, genauso wie bei einem Familienunternehmen in erster Generation. Dort gibt es nämlich weder eine gelebte Praxis, wie mit bestimmten familiären Themen im Unternehmen umgegangen wird, noch eine Identität, die das Familienunternehmen der Familie – auch jenen Teilen, die nicht operativ tätig sind – stiftet. Im Familienunternehmen ist man immer Teil eines „Clans“, auch wenn man gar nicht dafür arbeitet, oder daran beteiligt ist. Als Teil dieses „Clans“ hat man vielleicht besondere Rechte und Privilegien, sollte aber auch eine gehörige Portion soziale Verantwortung tragen können. All dies kann eine Familienverfassung regeln.


Diese Regeln in der ersten Generation zu erarbeiten, hat auch den Vorteil, dass der Kreis der beteiligten Familienmitglieder meist noch überschaubar ist und sich auch leichter auf Verhaltensregeln einigen kann.


Für das Procedere der Erstellung von Familienverfassungen gibt es keine vorgegebene Vorgangsweise. Eine solche würde auch gar keinen Sinn machen, ist doch jedes Familienunternehmen so individuell wie seine Familienmitglieder. Das Ergebnis einer solchen Familienverfassung kann aber sehr wohl als Grundlage für Gesellschafter- und/oder Syndikatsverträge sein. Vor allem aber kann es - mit der Zustimmung aller - laufend adaptiert und an modernisiert werden.

Eine Unternehmerfamilie, die ohnehin nur noch über Anwälte kommuniziert, wird sich nie auf eine Familienverfassung einigen können. Moral, hin oder her...


Ich komme selbst aus einem Familienunternehmen, das seit 1755 von einer Generation an die nächste übergeben wird. In unserem Betrieb hat der Generationswechsel von meinen Eltern auf mich und meine drei Geschwister bereits erfolgreich stattgefunden. Ein Prozess, der sich über viele Jahre gezogen hat. Als Autorin schreibe ich seit 2012 Bücher für Familienunternehmen und bekomme tiefe Einblicke in Familien und ihre Betriebe. Zudem habe ich an der Coaching Akademie Berlin die Ausbildung zum systemischen Personal- und Businesscoach absolviert und mich dabei Lösungsansätzen beim Generationswechsel und der Nachfolge gewidmet. Seit dem unterstütze ich Familienunternehmer als Sparringpartner und systemischer Coach.





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