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Geschwister im Familienbetrieb

Warum funktionieren manche Geschwisterkooperationen im Familienunternehmen gut und andere arten in einem Bruderzwist aus? Welche Faktoren fördern eine gute Zusammenarbeit zwischen Geschwistern im gemeinsamen Unternehmen und welche sind von Anfang an zum Scheitern verurteilt? Um die Komplexität von Geschwisterverhältnissen im Familienunternehmen annähernd erahnen zu können, muss man vor allem einen Blick in die noch recht junge Wissenschaft der Geschwisterforschung wagen. (Achtung Spoiler: langer Text, aber es zahlt sich aus)





Geschwisterkonstellationen im Familienunternehmen können unterschiedlicher Art sein: sie sind gemeinsame Anteilseigner; mehrere Geschwister arbeiten im Betrieb gemeinsam oder nur einer arbeitet; das Unternehmen gehört allen gemeinsam, mehreren gemeinsam oder nur einem Geschwisterteil. Wie auch immer die Konstellationen sein mögen, wenn die Fetzen fliegen, geht es meist um Macht, Geld, Anerkennung, Eifersucht oder nicht aufgearbeitete Kindheitsmuster. Seltener geht es um operative Unternehmensentscheidungen. Um Geschwisterkonflikte zu lösen, lohnt sich ein Blick in die Geschwisterforschung.


Geschwister sind Vertraute, Rivalen und Teile von uns selbst. Sie begleiten uns ein Leben lang und sind meist die längsten Beziehungen, die wir Menschen haben. Wenn kein Unglück geschieht, begleiten sie uns länger als unsere Eltern, unsere Partner und unsere Kinder.


Sie prägen unsere Persönlichkeit und sind in unsere Identität eingewoben – ob wir wollen oder nicht. Geschwister sind nach unseren Eltern unsere ersten Vorbilder, sie bieten ein optimales Trainingsfeld für soziale Beziehungen und sind die ersten, die in Krisen an unserer Seite stehen. Gleichzeitig stecken wir mit ihnen oft in alten Verhaltensmustern und Kindheitsrollen fest. Eltern weisen ­ meist ganz unbewusst ­ Kindern Rollen zu, mit denen sie zu mindestens ihre gesamte Kindheit leben (müssen): „der verantwortungsbewusste Erstgeborene“, „die flexiblen Sandwichkinder“ oder die „rebellischen Nesthäkchen“.


Sie lieben sich – Sie hassen sich

Wir können uns nicht aussuchen, mit wem wir aufwachsen und können uns von unseren Geschwistern auch nicht scheiden lassen. Aus dieser angeborenen Bindung kommt man sein Leben lang nicht heraus. Selbst wenn Funkstille herrscht sind unsere Geschwister immer Teil unserer Familie. Wir können mit ihnen eine tiefe Verbundenheit spüren oder an die Grenzen unserer Macht stoßen; wir können solidarisch sein und sie dennoch beneiden; wir können sie lieben und gleichzeitig hassen. Diese Ambivalenz ist das wohl wesentlichste Merkmal einer Geschwisterbeziehung.

Über den Einfluss des Geburtsranges ist sich die Geschwisterforschung nicht einig, die Haltung der Eltern, hat hingegen einen viel größeren Einfluss darauf, wie sich Geschwister auch im Erwachsenenalter miteinander verstehen. Wie Eltern im Alltag auf ihre Kinder eingehen; wie sehr sie Konkurrenz zulassen; ein Kind bevorzugen (der Thronfolger, der erstgeborene Sohn etc.) oder auf eine faire Behandlung aller achten; ob sie einzelnen Kindern fixe Rollen zuordnen oder Flexibilität fördern. Das gilt natürlich auch, wenn Kinder später selbst die Elternrolle übernehmen und ihren eigenen Kindern Rollen zuweisen.


Im Fall von Familienunternehmen werden hier meist schon die ersten Pflöcke eingeschlagen, weil sich die Erwartungshaltung an den oder die zukünftigen Nachfolger manifestiert. Wird beispielsweise das tief verwurzelte Bedürfnis nach Gerechtigkeit in der Wahrnehmung des Kindes verletzt, entstehen in der Regel Neid und Rivalität. Dabei können Kinder durchaus mit ungleicher Behandlung umgehen, wenn sie diese als fair empfinden. Das wird möglich, wenn sie einheitliche Regeln, sachliche Gründe oder eine längerfristige Ausgewogenheit erkennen können. Haben sie hingegen den subjektiven Eindruck – und allein der ist entscheidend –, dass ein Geschwister ungerechtfertigt bevorzugt wird, belastet dies die Beziehung zwischen den Geschwistern. Ist eines gar das vielgeleugnete Lieblingskind, hat dieses meist nicht nur mit den Aggressionen der Geschwister, sondern auch mit eigenen Schuldgefühlen zu kämpfen.


Kinder lieben ihre Eltern und wollen von ihnen geliebt werden. Sie brauchen deren Aufmerksamkeit und Anerkennung – im Zweifelsfall auch auf Kosten der Geschwister. In diesem Wettstreit versuchen sie, die Erwartungen ihrer Eltern zu erfüllen.


Das Verhältnis zu seinen Geschwistern ist nicht vorbei, wenn man das Elternhaus verlässt. An so manchen Schmerz, den sich Geschwister als Kinder zugefügt haben, erinnern sie sich – bewusst oder unbewusst ­ auch Jahre später noch. Alles, was sich schon im Kindesalter auftürmt und nicht ausgesprochen, sondern unter den Teppich gekehrt wird, kann irgendwann zu einer Tretmine werden, die sich explosionsartig entleert.

Das Gute ist, an der Beziehung zu seinen Geschwistern kann man sein Leben lang arbeiten. Das bedeutet vor allem, seine jahrzehntelang festgefahrenen Kindheitsrollen aufzugeben und sich auf einer erwachsenen Basis zu begegnen. Um es in den Worten des Psychiaters Ben Furman zu sagen: „Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit!“


Mangelnde Abnabelung

Mit dem Erwachsenwerden, dem Auszug aus dem Elternhaus und der Berufs- und Partnerwahl entstehen normalerweise zunehmende Unabhängigkeit von Eltern und Geschwistern und meist auch räumliche Distanz. Jeder geht seinen eigenen Weg und losgelöst von den Eltern können Geschwister nun eigenständige Beziehungen zueinander entwickeln. Mit der Geburt von eigenen Kindern und dem Wechsel in die Eltern-Rolle vergrößert sich die Unabhängigkeit noch einmal deutlich, gleichzeitig werden die familiären Beziehungen häufig wieder enger gelebt, weil sich auch eine wichtige Enkelkinder-Großelternrolle entwickelt. Eine wichtige Voraussetzung für engere Beziehungen in der erweiterten Familie ist eine gute Integration der Partner, die unterschiedliche Werte und Prägungen mit in die Familie einbringen. Gelingt dies nicht, sind Spannungen vorprogrammiert, die sich auch auf die nächste Generation und das gemeinsame Familienunternehmen übertragen können.


Die komplexen Geschwisterbeziehungen werden durch die Existenz eines Unternehmens in der Familie noch gesteigert. Denn für die Entwicklung von guten, gesunden Beziehungen innerhalb der Familie ist es von großer Bedeutung, Abnabelung und Wieder-Annäherung, Emanzipation und Identifikation in Einklang zu bringen. Durch die starke Bindungswirkung, die ein Familienunternehmen entfaltet, wird dieser natürliche Abnabelungsprozess vom Elternhaus deutlich erschwert.

Treten Nachfolger in das elterliche Unternehmen ein, ohne sich zuvor mit einem eigenen beruflichen Weg wirtschaftliche Unabhängigkeit von den Eltern bewiesen zu haben, fehlt mitunter ein wichtiger Baustein im Abnabelungsprozess, was auch eine unabhängige Entwicklung der Geschwisterbeziehungen erheblich erschwert.


Für Nachfolger in Familienunternehmen ist es wichtig, neue Rollen einzunehmen, sich weiterzuentwickeln und zu verändern. Geschwister als Zeugen der eigenen Entwicklung, können diese Veränderung erschweren. Sie kennen sich und die Ängste des anderen von klein auf, haben Scheitern und jugendliche Fehltritte erlebt. Oft reicht ein einziges Wort, um den Bruder oder die Schwester zur Weißglut zu bringen.



Trennung Familie und Unternehmen

Geschwister kennen einander aber auch so gut, dass sie sehr genau beurteilen können, welche Themen sie miteinander behandeln können, ohne zu streiten. Gerade bei Geschwistern wird dieser schmale Grat einer konstruktiven Auseinandersetzung aber selten getroffen. Entweder eskaliert die Diskussion schnell, oder Probleme werden verdeckt und verschoben, um den Streit zu vermeiden.


Nur selten gelingt eine Trennung der Bereiche Familie und Unternehmen. Gerade in der Kommunikation der Geschwister birgt die doppelte Rolle in Familie und Unternehmen Konfliktpotenzial. Dabei sind die meisten Probleme zwischen Geschwistern meist schon lange vorhanden. Sie entstehen nicht spontan. Sie werden nur nicht angegangen. Und die meisten werden nicht einfacher, wenn sie später behandelt werden. Daher sollten Geschwister den aktiven Austausch miteinander bewusst suchen und nach Möglichkeit institutionalisieren. Jour-Fixes, gemeinsame Abend- oder Mittagessen.


Stabile Unternehmensentwicklungen verdecken viele Probleme, solche Phasen sollten aber genutzt werden, um Herausforderungen zwischen Geschwistern zu lösen. In „Friedenszeiten“ sollten sie sich die Zeit nehmen, um zu Lösungen zu kommen: gemeinsame Ziele und Werte im Unternehmen (manchmal ist der Karren so verfahren, dass Geschwister eine Schädigung des Unternehmens in Kauf nehmen, um den persönlichen Geschwisterkampf zu führen), klare Rollen im Unternehmen definieren (wer ist operativ und wer vertritt seine Anteile in einem Gremium und was bedeutet beides), keine Rivalität, gegenseitigen Respekt; Disziplin und Demut vor dem Erbe der Eltern könnten nur einige davon sein.

Vielleicht klingt es ungewohnt, sich strukturiert oder gar moderiert auszutauschen, aber ein Familienfest ist ebenso wenig dazu geeignet, grundsätzliche Fragen zu besprechen, wie es ein Geschäfts-Meeting ist, einen Geschwister-Streit zu erledigen. Spätestens wenn die nächste Generation heranwächst und Erwartungen an deren künftige Rollen entstehen, sollten Geschwister sich mit ihren Rollen und deren Übertragung auseinandersetzen, um Konflikte nicht in die nächste Generation zu tragen.


Vielfach helfen auch Dritte dabei, Geschwister miteinander ins Gespräch zu bringen. Das kann der Beiratsvorsitzende ebenso sein wie der Pater eines Klosters oder ein professioneller Mediator. Für den Austausch von Geschwistern gilt: Wenn sie miteinander etwas erreichen wollen, was sie vorher nicht erreicht haben, sollten sie miteinander etwas tun, was sie zuvor nicht getan haben.



Quellen:

· Nachfolge in Geschwisterkonstellationen – Eine besondere Herausforderung für Unternehmerfamilien; Dr. Arno Lehmann-Tolkmitt und Nina Heinemann in Peter May Family Business Consulting.

· Psychologie heute, Geschwister – Wie sie uns prägen und was wir gewinnen, wenn wir unsere Rollen aus der Kindheit aufgeben, Heft 10, Oktober 2018.


Ich komme selbst aus einem Familienunternehmen, das seit 1755 von einer Generation an die nächste übergeben wird. In unserem Betrieb hat der Generationswechsel von meinen Eltern auf mich und meine drei Geschwister bereits erfolgreich stattgefunden. Ein Prozess, der sich über viele Jahre gezogen hat. Als Autorin schreibe ich seit 2012 Bücher für Familienunternehmen und bekomme tiefe Einblicke in Familien und ihre Betriebe. Zudem habe ich an der Coaching Akademie Berlin die Ausbildung zum systemischen Personal- und Businesscoach absolviert und mich dabei Lösungsansätzen beim Generationswechsel und der Nachfolge gewidmet. Seit dem unterstütze ich Familienunternehmer als Sparringpartner und systemischer Coach.




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